Envira ist umgeben von Dschungel. Mit dem Dschungel beginnt auch das Indianerreservat der Kulina, an dessen Grenze zu den Weideflächen der Stadt das Indianerdorf Cacao liegt. Noch verbunden mit dem Stromnetz der Stadt und mit dem Auto über eine sandig, lehmige Straße erreichbar liegt es wie eine Pforte zum Reservat zwischen Dschungel und Envira. Andreas und Angelika arbeiten hier als Missionare und haben uns nun zum ersten mal mit ins Dorf genommen.
Bisher kannten wir die Kulinaindianer nur von ihren Besuchen in Envira. Sie kamen meist bei Totzens Häuschen vorbei um nach Wasser zu bitten oder warteten auf das nächste Boot um nach ihren Einkäufen wieder in ihre Dörfer zurück zu kehren. Diesmal fuhren aber wir mit einem älteren Toyota hinten auf der geschlossenen Ladefläche die etwa 6 km zum Indianerdorf. Zuerst ging es über die mit Ziegelsteinen gepflasterte Dorfstraße an den letzten Holzhütten Enviras vorbei, dann zwischen den gerodeten Waldflächen, die als Weideland genutzt werden schließlich bis zum Dschungel, an dessen Beginn das Dorf liegt. Die Vorstellung, die zumindest ich von diesem Dorf und anfangs den Indianern hatte, wahr wohl aus Naturdokus in WDR, Karl Mays edlem Winnetou und Geoartikeln zusammengesetzt. Das war aber dann nicht ganz das, was wir antrafen. Wir parkten neben einer niedergebrannten Hütte, die sein Besitzer in einem alkoholisierten Wutanfall anzündete. Der erste Eindruck auf uns schwankte zwischen Favela, dreckiger Müllhalde und einem bisschen grüner Naturidylle - ein Indianerdorf, mit deutlichen Einflüssen der Stadt. Die meisten der weit verteilten Hütten waren mit Palmwedeln bedeckt und bestanden aus einem einfachen Holzboden, welcher in etwa 1 m Höhe zwischen den Stützpfosten angebracht war. Ein paar wenige Häuser waren aus Brettern zusammengezimmert und hatten ein Blechdach. Durch die Nähe zur Stadt hat Cacau wie gesagt 24h Strom, was für skurrile Mischungen sorgt. In der Hütte des Dorfchefs, die ebenfalls nur aus Holzboden und Palmdach bestand, stand als einziges Möbelstück ein Fernseher mit DVD Player in der Mitte der Hütte. Nebendran spielte gerade ein ca. 2 jähriges Kind mit einem Stock und einerm riesigen Buschmesser, mit dem es versuchte das Holz anzuspitzen. Noch waren alle Finger dran. Den Strom bekommen sie von der Stadt gestellt, denn alle 4 Jahre sind in Envira Wahlen und die Parteien kaufen durch solche Versprechen die Indianerstimmen ein. Und kurz bevor die nächste Wahl ansteht, müssen die Versprechen wenigstens teilweise eingehalten werden, sonst gehen die über 300 Indianerstimmen an die Gegenpartei. Und die letze Wahl wurde eben durch diese Stimmen entschieden. So kam es also, dass in Cacao ein Fischteich angelegt wurde, dessen Mauer brach, ein Brunnen mit Wasserspeicher angelegt wurde, dessen Pumpe vor einigen Jahren kaputt ging und ihnen eine Sporthalle versprochen wurde, die nie gebaut wurde. Der Strom tut aber!
Nun, Andreas und Angelika zeigten uns ein bisschen das Dorf und wir gingen von Hütte zu Hütte, in denen meist nur Kinder an zu treffen waren, da die Elter auf der Jagd, beim Fischen oder bei der Feldarbeit waren. Überall im Dorf liefen und lagen Schweine, Hühner, Ochsen, Katzen und Hunde zwischen Plastiktüten und alten Verpackungen rum. Und bei einer Hütte saß sogar ein kleiner Affe auf dem Geländer, dessen Mutter bei der Jagd geschossen wurde. In der nächsten Hütte saßen ein paar Frauen beim Maniokschälen, den sie zum Zubereiten ihres Bieres benötigen. Das Rezept ist gar nicht so schwer: Maniok schälen, gut durchkauen und anschließend in einen Topf spucken und ihn 1-3 Tage gären lassen…mhhh. Eine von ihnen wollte unsere Kleidung gegen eine kleine Schildkröte eintauschen, wir haben uns dann doch erstmal für zwei frische Kokosnüsse entschieden und dafür, unsere Kleidung erstmal zu behalten…Wir durften aber zusehen, wie ein Mädchen für uns auf eine Kokospalme kletterte und mit viel Mühen uns zwei Kokosnüsse pflückte. Ich wette aber, dass Jan irgendwann nur in Boxershorts aus dem Urwald zurückkommt…die kleine Schildkröte hat ihm doch gefallen.
Mit ein paar kleinen Indianerjungen gingen wir dann über kleine Trampelpfade in den Dschungel. Dabei kamen wir noch am Fluss vorbei, indem die Indianer rumplanschten…ziemlich idyllisch, nur hatten wir uns noch nicht getraut die mit Wasserschlangen, Krokodilen und Piranhas :)gefüllten Gewässer zu betreten…noch nicht!..Im Wald ließ Chris sich von den Indianerjungen eine geeignete Stellen zum Fischen zeigen und Jan und ich machten uns derweilst vor ihnen auf einem Baumstamm lächerlich…mann muss aber auch sagen, dass er ganz schön gewackelt hat und ich deshalb gerechtfertigt irgendwo im Busch nebenan gelandet bin. Aber wir hatten unsere Technik dann etwas verschärft ( siehe Bild :) ) Da es in diesen Monaten extrem wenig regnet, ist der Wasserstand der Flüsse eben auch extrem niedrig. Im Fluss haben Jan und ich ein kleines Boot entdeckt, auf dem wir unsere erste Forschungsreise absitzen konnten…fuhr nämlich net. Ja aber wir kamen dann doch zu einer etwas tieferen Stelle des Flusses. Die Indianerjungs sprangen sofort hinein und so überwunden auch wir unsere Angst gefressen zu werden und hüpften hinterher. Tiefer heißt in diesem Falle etwa 50 cm bis 1m. Beim Baden wurden wir von indianischen Mädchen beobachtet, die schüchtern etwas weiter oberhalb standen. Nachdem wir dann alle zusammen planschen waren hab ich mir von Andreas und einem erwachsenen Indianer übersetzen lassen, wie »Wie heißt du?« auf indianisch auszusprechen ist und habe die Kinder gefragt. Die haben sich aber nur schüchtern angeschaut und sind verlegen ein paar Schritte zurückgegangen…zum Gelächter der Anderen…Andreas meinte dann, dass sobald man einen gezielt allein anspricht, er plötzlich aus seiner Gruppe herausgeholt wird und sich nicht traut zu sprechen, weil er sich eben so der Gefahr aussetzt, von allen anderen ausgelacht zu werden. Naja, ich versuch es nächstes mal mit »Wie heißt ihr?« :)
Ach ja der erwachsene Indianer. Er trug auf den Schultern die ganze Zeit ein kleines behindertes Kind. Er meinte, normal würde dieses Kind nach der Geburt, wie auch Zwillinge umgebracht werden, er als Christ aber will dieses Kind trotzdem aufziehen. Find ich gut, ich hätte es ja auch nicht auf meine 19. Jahre gebracht bei solchen Riten. Aber seine Alkoholfahne sollte er noch in den Griff bekommen, hat uns stark gewundert, wie geradlinig der noch gehen konnte.
Da die Kulinaindianer, wie auch viele andere Indianer vom Staat Gelder bekommen, wie z.B. Kindergeld oder Mindestlohn, hohlen sie sich diese jeden Monat in Envira ab und vertrinken ihn schon meist auf dem Heimweg. Tatsächlich sind mir wohl schon mehr angetrunkene Indianer begegnet, wie nüchterne. Gestern lag auch einer abends vor Totzens Haus und war nicht mehr fähig aufzustehen. Im Krankenhaus in Manaus besuchte Andreas in der Zeit in der wir »untersucht« wurden einen Kulinaindianer, der mit Hepatitis A,B,C und schweren Leberschäden im Krankenhaus lag. Er hatte Benzin getrunken, eben wegen seines Alkoholgehaltes. Das er nun unheilbar erkrankt ist will er nicht wahrhaben, von seinem Stamm wurde aber ein Familienvater von 5 Kindern nach Manaus geschickt um ihn in den Tod zu begleiten. Seit 10 Monaten schläft nun dieser Begleiter auf einem Holzstuhl neben dem Krankenbett. Spiritus wird hier übrigens im Getränkeregal angeboten. Reiner Alkohol, den die Indianer mit Wasser mischen und trinken. Aber was sollen die Indianer machen? Sie bekommen Geld, können nicht mit ihm umgehen, kaufen sich Alkohol mit dem sie auch nicht umgehen können. Und was soll der Staat machen? Durch Schutzzonen und Reservate stehen den Amazonasindianern 820.000 Quadratkilometer zur Verfügung, in einer Favela von Rio de Janeiro drängen sich die Bewohner (etwa gleiche Anzahl) auf 4 Quadratkilometern zusammen! Warum soll die Regierung einer kleinen, exotischen Minderheit überhaupt Sonderrechte geben, wenn immer noch 32 Millionen von 175 Millionen Brasilianern in bitterster Armut leben? Und wieder zurück in den Urwald und so leben wie ihre Vorväter, das wollen die Indianer auch nicht. Hier z.B. sind sie an das Stromnetz angebunden. Und die Indianer haben fürchterliche Angst im Dunkeln vor Geistern, jetzt haben sie nachts Licht, wieso dann weg? Ich habe einen Indianer gefragt, ob er mir Pfeil und Bogen schießen und Jagen beibringen kann, was sie auch noch tun, er hat mich aber nur angelacht und gefragt, wieso ich das lernen will, mit der Flinte sei es viel einfacher. Und er hat recht, wer würde ihm also die Flint aus der Hand nehmen und sagen, geh in deinen Urwald zurück und lebe wie deine Vorväter? Wie aber soll man es rechtfertigen, wenn Indianer sich im Urwald blutige Stammeskämpfe ausliefern, ihre Frauen überhaupt nicht edel behandelt werden und alle weiteren Generationen in der ständigen Angst vor Flüchen und Geistern aufwachsen müssen und man sie weg sperrt und ihnen den Kontakt zur Zivilisation verweigert. Und wie soll die Regierung es rechtfertigen, dass Indianern riesige Gebiete zugesprochen werden, während es in Brasilien Millionen von landlosen Bauern gibt, die am Hungertuch nagen…weil es andere Menschen sind?
Ja durch den Kontakt mit Indianern haben sich mir eben ein paar Fragen gestellt, die ich hoffentlich im Laufe dieses Jahres immer besser verstehen kann. Was aber die traurige Wahrheit ist, ist, wie man auch beim Alkohol sieht, dass die Indianer zumeist die Opfer der »weißen« Gesellschaft sind.
Nachdem ich neben Jan also so gedankenversunken durch den Dschungel hüpfte und mich von einer, Überwältigenden Menge von Ameisen beißen lies, die ihre Nester sogar in den Bäumen haben und sozusagen von oben herabregnen, kamen wir wieder im Dorf an. Anderson, Chris, Jan und ich setzten uns hinten in den Laderaum des Toyotas und es gesellten sich noch ein paar Indianerjungs zu uns. Andreas fuhr das Auto langsam durch das Dorf und es sprangen noch weitere Kinder hinten rein, bis wir zu fünfzehnt waren. Am Dorfanfang luden wir sie aber wieder ab und fuhren zurück nach Envira. Nach einem echt interessanten und spaßigen Tag.
Kommentare
Ja, ich wollt doch jetzt auch mal ein Kommentar schreiben, und wenn schon dann auch gleich das erste zu diesem schönen Beitrag. Die Fotos sind echt cool, wie hast du das geschafft euch zwei da so gut reinzumontieren?^^ Ne, im ernst, ich kann mir garnicht vorstellen dass du da drüben im Dschungel hockst! Irgendwie beneid ich dich ja schon…nur um den spritlosen Alkoholiker-Flug, da bin ich doch froh dass der mir erspart blieb. Und während du da drüben so zwischen diversen Wildlingen herummissionierst muss ich mich um kleine, schreiende, rotzende Babys kümmen. Ne, Spaß, sie sind zwar klein, rotzen und schreien, aber trotzdem voll süß :) Aber mit einem beschissenen Schnupfen ham die mich angesteckt, das is nicht so süß :/ Aber warte erstmal bis die Tropenkrankheiten von dir Besitz ergreifen… Tjaja, dann machs mal gut und schau dass du mir meine versprochenen Flipflops Weihnachten 2009 mitbringen kannst. liebes grüßle, maren
Hallo, Ihr zwei!
Danke für die tollen Bilder und den interessanten Bericht. Das sind ja schon riesige Herausforderungen. Klar, dass einem das Herz da blutet und man sich viele Fragen stellt. Das sind schon gewaltige Eindrücke. Bin gespannt auf jeden weiteren Bericht von Euch. Liebe Grüße und alles Gute wünscht
Dorothee Klein
bonjour! ca va? eure website is echt volle cool! die bilder sin echt toll!!! wird mr richtig eifersüchtig auf des was ihr da alles erlebt, echt was andres zu unserm echt tollen schulalltag;) aber naja… so is des halt! euch weiterhin so viel interessantes! liebs grüßle an die brasilianer;) muss jetzt ins bett, muss früh raus;)
ich hab mal ne Frage ist der Affe auf dem Bild echt?
ja, der auf dem bild gezeigte Affe ist ein lebendes Säugetier. Sind ja hier schließlich im Urwald, hier gibts eine Menge Sachen die man im Deutschland nur im Zoo sieht!
was gibts den da no so für tiere die da einfach frei rumlaufen?? haben die affen da angst wenn mer dene zu nah kommt un rennen dann weg?? oder sin die voll lieb un du kannst die streicheln?? ich kann mir des iwie gar nich vorstellen direkt neben so nem affen zu stehen, is bestimmt voll cool wenn mer des alles so sieht!!! gibts da au so coole blaue frösche oder so was???
jan bist no ned uf ne palme geklettert um ne kokusnuss zu holen?? so wie de in deutschland immer uf die laternenpfosten geklettert bist??=)
liebs grüßle
also es ist so, wenn die affen frisch »gefangen« werden (oft sind es jungtiere deren eltern bei der jagd geschossen wurden) sind sie die erste zeit angeschnürt bis sie sich an ihre umgebung gewöhnt haben. Im indianerdorf gibt es aber auch viele freilaufende Affen, Papageien, Wellensittiche. Und viele viele Schildkröten gibt es hier, da kommen Indianer am Haus vorbei und bieten die dir für 2 € an. Und es sgibt viele giftige Spinnen (eine hab ich schon getötet) und Kakerlaken, wunderschöne Schmetterlinge und Nachtfalter, bei denen ein Flügel so groß wie meine Hand ist!
Des lern ich noch, auf jeden fall! Die ham da ne ziemlich coole technik, un am Ende von dem Jahr möcht ich des können!
Hola Grüße aus dem nordhessischer Herbstwald ins tropische Brasilien. Bevor ich meinen PC zum Umzug einpacke wollt ich das mit dem Bloggen doch auch mal ausprobieren. Was machen denn nu eure Garten- und Schafpläne?? Würd euch ja ein paar Äppel rüberschicken (helf grad Ernten auf einer Bioplantage) aber bei drei Monaten Sendezeit… lieber nich. Frohes Unterrichten weiterhin Silvia