Jan und Alex in Brasilien / Blog


09. Oktober 2008

Envira

um 11:55 von Jan unter Land und Leute, Arbeitsalltag, Allgemeines veröffentlicht. 9 Kommentare

Nun ist es aber auch mal an der Zeit, ein paar Informationen über unseren Wohn- und Arbeitsort Envira zu schreiben. Hierbei handelt es sich um eine Kreisstadt mit ca. 5000 Einwohnern im Ort an sich, im gesamten Kreisgebiet sind es zwischen 15.000 und 20.000 Personen. Gelegen ist die Stadt im Bundesstaat Amazonas, aber schon sehr nah am westlichsten Bundesstaat Acre dran. Gegründet wurde Envira vor knapp 50 Jahren, um die Verwaltung im Kreis zu verbessern; erreichen kann man sie nur mit dem Flugzeug (dem sagenumwobenen Buschtaxi) oder per Schiff. Das aber besser nur in der Regenzeit, sonst kann es schon mal sein dass die Fähre aufläuft und wochenlang nicht bewegt wird.

Infrastruktur

Es gibt fast keine festen Straßen, es gibt nur eine einzige asphaltierte Straße. Normal sind hier Kopfsteinpflaster oder einfach nur eine festgetretene Staubstraße. Der Grund hierfür ist in den Fortbewegungsmitteln zu suchen: Die ganzen Ochsenkarren, die hier rumfahren, zerstören jede fest angelegte Straße durch das Getrampel. Das hat natürlich gravierende Nachteile, in der Regenzeit ist Autofahren so gut wie unmöglich, weil alles nur noch Schlamm ist und in der Trockenzeit staubt es dafür enorm. Das wird nur gelindert durch die Tatsache, dass es maximal 50 Autos in Envira gibt. Bis auf das Auto von Totzens (also den Missionaren) trägt übrigens fast keines ein Nummernschild, keines ist angemeldet, keiner zahlt KFZ-Steuer (ausgenommen Polizei und Krankenwagen) …

Müllbeseitigung ist auch ein interessantes Thema. Es ist nicht so schlimm wie im Indianerdorf, wo alles rumliegt. Hier hängt jeder seinen Müll in einem Plastikbeutel an seine Mauer o.Ä., damit die Hunde nicht drankommen. Wenn davon was runter- oder rausfällt, ist es ja auch egal. Müll liegt auch hier überall herum. Ungefähr einmal die Woche kommt dann ein normaler Muldenkipper und sammelt die Mülltüten ein, fährt sie zur Müllkippe und kippt sie hin. Mülltrennung gibt es hier nicht. Auf der Müllkippe schwelen dann auch immer kleine Feuerchen, es stinkt erbärmlich und das Wasser im Umkreis von 100 m ist bestimmt auch verseucht.

Envira ist wohl die einzigsten Stadt im Amazonasgebiet, die es tagelang ohne Stromausfall aushält. Seit unserer Ankunft gab es noch keinen einzigsten. Andreas meinte, dass in anderen, vergleichbaren Städten man täglich mit 4-5 Stunden ohne Strom rechnen kann. Wieso das bei uns anders ist, weiß man nicht so genau, „produziert“ Envira doch seinen Strom auf genau die gleichen Art und Weise: ein großer Haufen Dieselgeneratoren läuft rund um die Uhr in einem Gebäude, das ganze wird dann Kraftwerk genannt.

Wohnmöglichkeiten

Die Häuser sind meistens nur einfach zusammen gezimmerte Bretterbuden. Hier wird übrigens alles genagelt, die Schrauben sind auf ihrem Siegeszug noch nicht bis hierher gekommen. Isolierung und dicke Wände sind hier übrigens auch Fremdwörter, es ist alles ziemlich primitiv gebaut. Wie Alex das mal sagte, hier trifft man eine „Mischung aus afrikanischem Flüchtlingslager und italienischem Campingplatz“ an. Was es aber vom Campingplatz unterscheidet, es gibt keine wirkliche Kanalisation hier. Von der Toilette/Dusche fließt einfach zwischen den Häusern ein kleines Bächlein nach vorne an die Straße, wo dann ein etwas größerer, mit Algen überfüllter und ziemlich eklig aussehender Bach parallel zur Straße verläuft und dann irgendwo hineinfließt. Kanalisation wie im Mittelalter. In unserem und Totzens ihrem Haus ist das noch ein bisschen besser, es ist teilweise gemauert (Totzens komplett, bei uns nur Küche und Bad) und es fließt kein Bach durch den Garten, sondern das Abwasser fließt durch ein Rohr in den „Entsorgungsbach“. Wassermangel gibt es hier übrigens nicht, auch nicht in der heißen Trockenzeit. Trotz der tagsüber extremen Hitze (35° C) steht immer genügend Wasser zur Verfügung. Wir liegen ja mitten im Regenwald. Allerdings ist die Wasserqualität ziemlich mies, wir filtern unser Wasser immer vorm Trinken. Viele (die etwas Wohlhaberenden) haben auch einen eigenen Brunnen im Garten, die anderen sind auf die Wasserversorgung der Stadt angewiesen (so auch Alex und ich), die dann täglich um ca. 5 Uhr die Wasserspeicher füllt.

Aktuelles

Letztes Wochenende fanden Kommunalwahlen statt. Es ist absolut interessant, wie hier Wahlwerbung funktioniert. Da gibt es die zwei Parteien, die durch Nummern gekennzeichnet sind: 15 (Bürgerlichen) und die 23 (Kommunisten). Jeden Tag fahren die wenigen Autos quer durch die Stadt und haben Musik, die die jeweilige Partei ausgewählt hat, laufen. Das sind nicht irgendwelche Volkslieder oder kommunistische Kampflieder, sondern meistens Techno. Man muss sich das so vorstellen: Ein Pickup mit mehreren großen Boxen auf der Ladefläche fährt quer durch die gesamte Stadt, Musik unglaublich laut aufgedreht und auf dem Auto schwingen Leute farbige Fahnen mit der jeweiligen Nummer. Es fahren auch jede Menge von diesen Rollern durch die Stadt, die sich einfach auf die Trittfläche eine 30x50cm-Box draufgesetzt haben mit einer Batterie drin und die ganze Straße beschallen! Das geht mit der Dauer ziemlich auf die Nerven, weil es immer die selben Lieder sind… Verrückt daran ist auch noch, dass die Leute meistens gar nicht wissen, was sich hinter der Nummer verbirgt. In unserer Straße wohnt der Kandidat der 23-Partei. Das bedeutet, so gut wie alle nahen und fernen Nachbarn haben irgendwo auf ihrem Besitztum (Haus, Motorad, T-Shirt) eine 23 stehen. Das es sich hierbei um einen Vertreter der Kommunistischen Partei handelt, wissen die gar nicht. Die Altersspanne der „Politikanhänger“ geht übrigens von Kleinkind mit einer großen 15 auf dem T-Shirt bis zum Greis, der seine 2x3m-Fahne durch die Stadt trägt! Dann bleibt mir nur noch zu sagen: Hier wird Politik gelebt! :-) Im Endeffekt haben die Kommunisten das Rennen gemacht, war aber vermutlich eine knappe Entscheidung. Genaue Zahlen bekommt man nicht, es gibt ja schließlich auch keine Zeitung, in der das gedruckt werden könnte.

Post & Briefe

Die Schiffe, die die Post bringen, kommen alle 2-4 Wochen hier an. Letztens ist eins untergegangen, und ein Paket, dass an Christoffer adressiert war, ging zusammen mit 50 Postsäcken unter… Also kann man sich nie sicher sein, dass die Sachen auch ankommen! Wenn sie denn aber ankommen, hat der eine (!) Briefträger von Envira richtig was zu tun (sofern er nicht krank ist, wie so oft). Aber immerhin hat er auch min. 2 Wochen Zeit, alles auszutragen ;-) (Schulze, so viel Zeit hättest du wohl auch gern!). Allerdings gibt es hier keine Briefkästen. Und klingeln auch nicht, hier wird geklatscht. Im Endeffekt läuft der Briefträger 2 Wochen lang quer durch Envira, klatscht vor jedem Haus, das Post bekommen hat. Da es ja auch keine Hausnummern und Namensschilder gibt, wurden wir erstmal gestern dem Briefträger vorgestellt, dass der auch weiß um wen es sich bei Alexander K. und Jan-Thomas M. handelt! Wenn wir aber einen Brief losschicken wollen, ist es am besten, ihn erst dann zur Post zu bringen, wenn das Schiff angelegt hat. Es sind wohl schon einige Briefe in der Poststation verloren gegangen. Es gibt zwar auch einen Briefkasten, aber besser ist es, ihn am Schalter abzugeben. Der Nachteil ist, dass man mit min. 2 Stunden Wartezeit rechnen darf, da die Post gleichzeit Sozial- und Rentenkasse und noch alles mögliche darstellt, und immer knackevoll gefüllt ist!

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Kommentare

Hi, Jan, ihr schreibt so lebendig, da seh ich euch richtig durch Envira laufen!! Weiter so. Wir haben übrigens ein »Probepäckchen« für euch abgeschickt.Das waren die Sachen, nach denen du gefragt hast. Mal sehen, ob es ankommt.

Sigrun Mosebach am 09. Oktober 2008, 13:46

Da wäre es ja ratsam ein Holzpäckchen zu schicken, dass beim Untergehen des Schiffes im Wasser weiter schwimmen könnte. Scheitert aber wohl an den Transportkosten.

Christof Mosebach am 09. Oktober 2008, 14:53

jaja, die Schwaben mal wieder. Die 50 Euro plusminus machen doch wohl auch nichts aus! Immerhin geht es hier um mich, räusper

Sonst sind wir hier ganz glücklich. Konnten heute seit tagen mal wieder aufs internet zugreifen, echt klasse Verbindung hier. Hat sich wegen dem Geld was neues ergeben? könnt ja eine mail schreiben, ich freu mich wenn sich mein posteingang füllt… grüße

Jan am 13. Oktober 2008, 12:52

Wie ist das mit der klasse Verbindung gemeint??? Habt ihr nun was neues? Gibt es diese ominöse, sagenumwobene Internet für Jedermann (der genug zahlt und in der Gunst des Internet-Gurus steht)? Wünsche euch eine gesegnete und prägende Zeit.

  1. Kor. 10, 31

Schöne Grüße

Jonathan Schuster am 13. Oktober 2008, 17:02

klasse Verbindung haben wir. Manchmal zumindest. Wir haben eine Antenne auf dem Dach (1 woche nachdem wir ankamen ;-) ) und da kann man dann ein LAN-Kabel an seinen Laptop anstöpseln, so könenn wir zumindest theoretisch täglich ins Internet, für den Preis von nur 52 Euro im Monat räusper. Allerdings ist das alles nur Theorie, meistens funktionieren nur die Seiten www.google.com und www.gmx.de, unseren Blog können wir nur aktualisieren falls es die Internetverbindung/der Internetguru/der Provider (wir haben den Schuldigen noch nicht entlarven können) es gut mit uns meint!

Jan am 14. Oktober 2008, 12:06

Ist das Euer Ernst, 52€ im Monat für so eine miese Verbindung? Das ist ja ganz schöner Wucher! Aber ein Verdurstender würde ein Vermögen bezahlen für einen Schluck Wasser. So geht es Euch wohl mit dem Kontakt zur Außenwelt. Ist für uns immerhin ein kleines Wunder, dass das doch noch so gut funktioniert. Ich wünsche Euch weiterhin eine gute Zeit!

R.Klein am 15. Oktober 2008, 12:54

Ja, der Internetanbieter hat einen Kredit von 28.000€ aufnehmen müssen um das hier anzubieten. Dementsprechend gepfeffert sind die Preise. Aber es ist einfach ein Luxus mittem im Busch internet im Haus zu haben. Und noch bezahlen es ja Totzens. Aber wir sind unglaublich froh und dankbar fast täglich mails abrufen zu können und so doch im steten Kontakt mit der Ausenwelt zu sein!

Jan am 15. Oktober 2008, 13:36

Na, für 52 Euro im Monat währe es ja auf längere Zeit fast günstiger nen eigenen Sateliten ins All zu schießen. Vlt. son gebrauchten aus der Udssr. Wenn ich 2 wochen zeit hätte die Post zu verteilen würde ich die ersten 13 Tage abber Urlaub machen und dann nach 10.45 h abbrechen^^. Ihre habt ja ein schönes Haus,gefällt mir. In den Garten würde ich einen kleinen Dirtpark bauen. Falls euch sonst nix besseres einfällt, immerhin kann der Gedanke dass es Leute gäbe die Spaß daran hätten ja nicht sinnloser sein als rein garkein gedanke beim Anblick eures Gartens zu haben. Oder? Also, meine Bratkartoffeln sind fe(r)ttig, ich geh jetzt was essen. Glückauf!

Florian Schulze

Florian am 18. Oktober 2008, 14:20

So ein Dirtpark gibts hier sogar irgendwo im Wald vergraben, da könnt ich mal mit dem alten Stahlfahrrad von Angelika vorbeischauen…und dir von gränd-slam-backslides und järr-ride-power-crash-saltis und anderen coolen moves berichten…dir wird staunen und dirten vergehen. hast mich auf jeden Fall mal auf die Idee gebracht, da vorbei zu schauen vllt. schucken sie ja doch nur alte Fahrradreifen einen Hügel runter…lass dich überraschen

Alex am 18. Oktober 2008, 15:56

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